• FROISSART, Jean, französischer Dichter und Geschichtsschreiber des Spätmittelalters

    Jean Froissart

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    FROISSART, Jean, französischer Dichter und Geschichtsschreiber des Spätmittelalters, * um 1337 in Valenciennes, + nach 1404, vermutlich in Chimay (Belgien). - Aufgewachsen in Valenciennes, fand F. wegen seines literarischen Talents früh die Protektion großer Persönlichkeiten und ging mit 1361 an den Hof von England, wo er Sekretär von Königin Philippa, der Gattin Eduards III., wurde, der er bis zu ihrem Tod verbunden blieb. Er reiste rastlos durch England und Schottland, Flandern, ganz Frankreich, Italien, z.T. allein, z.T. in Begleitung von Mitgliedern des Königshauses, wie dem schwarzen Prinzen, um aus eigener Anschauung Material für seine Chronik zu gewinnen. Nach Philippas Tod 1369 lebte er meist in seiner Heimat unter der Protektion verschiedener Fürsten, u.a. Wenzels von Luxemburg, mit dem ihn persönliche Freundschaft und gleiche literarische Neigungen verbanden. Um 1370 empfing er die Weihen, wurde Pfarrer und erlangt schließlich ein Kanonikat ohne Residenzpflicht in Chimay, das ihm die Fortsetzung seiner Reisen ermöglichte. Seit etwa 1360 dichterisch tätig; seit etwa 1370 bis in seine letzten Jahre arbeitete er an der Chronik. Von dem Historiker F. sagt Montaigne (II 10), er biete Geschichte nur als Rohstoff dar. Dieses Urteil bezeichnet F.s Stärken und Schwächen genau: er ist kein Denker, der Personen und Ereignisse auf ihre Ideen und Voraussetzungen hin analysierte und auf der Basis eines klaren Konzepts in einen großen Zusammenhang einordnete dafür jedoch ein unvergleichlicher Beobachter und Schilderer. Sein Thema ist die Gegenwart; sein Werk, das die Chronik des Jean le Bei fortführt, behandelt etwa die erste Hälfte des englisch-französischen Hundertjährigen Krieges und sein Übergreifen auf die iberische Halbinsel. An schriftlichen Quellen wenig interessiert, trug er auf seinen Reisen Anschauung von den Orten des Geschehens und vor allem mündliche Berichte von Teilnehmern zusammen. Seine Vertrautheit mit den führenden Kreisen des englischen Hofs und anderer Höfe verschaffte ihm eine unvergleichliche Kenntnis der Hauptakteure, deren Informationen er durch unermüdliches Befragen weiterer Beteiligter ergänzte. In einer Zeit, in der neue militärische Techniken den ritterlichen Einzelkampf sinnlos werden ließen, hielt er (wie viele Zeitgenossen) an diesem Ideal als an der Idee des Krieges überhaupt fest und widmete sein Werk ausdrücklich dem Zweck, den jungen Adel für die Größe ritterlicher Disziplin und Tapferkeit zu begeistern. Aus dieser Perspektive ergibt sich die Auflösung der Darstellung in eine Folge einzelner, breit ausgeführter Szenen ohne konsequente chronologische Verknüpfung sowie ihre Ungenauigkeit; auch resultiert aus ihr sein mangelndes Interesse an den Leiden der vom Krieg betroffenen kleinen Leute und seine Verständnislosigkeit gegenüber ihren Klagen und Forderungen in den großen Sozialunruhen der Epoche. Freilich verschweigt er sie auch nicht. Als Berichterstatter hält er sich in seiner Erzählung stets präsent und bezeichnet damit deutlich, wenn auch ungewollt, die Relativität seiner Sicht bzw. der seiner Auftraggeber. Das Werk hatte gewaltigen Erfolg und wurde mehrfach fortgesetzt; trotz allen Mängeln vermittelt es noch heute mit seinen unerhört lebendigen Portraits von Personen, Szenen und Gesprächen ein unersetzlich genaues Bild von seiner Epoche. F.s umfangreiches dichterisches Werk bewegt sich in den traditionellen Gattungsbahnen: Ritterroman, Verserzählung, Pastourelle, Ballade, usw. Im »Meliador« greift er in Übereinstimmung mit seinem nostalgischen Ritterideal über die inzwischen fest etablierte Prosaform wieder auf den Vers zurück. Im Mittelpunkt stehen weniger der Kampf auf Leben und Tod gegen ritterliche Gegner und die Bewährung in Grenzbezirken zum übernatürlichen, als vor allem eine Reihe minutiös geschilderter Turniere. In der Behandlung der Landschaften und Volkscharaktere nutzt F. seine Reiseerfahrungen zu einer deutlich realistischen Ausdeutung der traditionellen Formeln des Romans aus. Mit der Einfügung von 79 lyrischen Dichtungen seines Gönners Wenzel von Luxemburg in den Roman greift F. ein inzwischen geläufiges Verfahren der Gattungsausweitung auf. - Ähnlich wie im Roman verfährt er in den kleineren Gattungen; neben Stücken, die herkömmliche Motive der Liebes- und der allegorischen Dichtung entfalten, stehen solche, die reizvolle Alltagskonkretheit und viele bei aller Stilisierung direkt autobiographische Szenen und Mitteilungen, etwa aus der Jugend des Dichters, enthalten. Eine besonders glückliche Hand hat F. bei dem `dit' und dem débat' hier gelingen ihm so geistreiche, leichte und persönliche Stücke wie der »Debat dou cheval et dou levrier« oder der »Dit dou florin«.

    Werke: Chroniques de France, d'Angleterre, d'Escosse, d'Espagne, de Bretagne, de Gascogne, de Flandre et lieux d'alentour, 1495(?); v. Siméon Luce und Gaston Raynaud, 11 Bde., 1869-99; Dernière rédaction du Premier Livre, v. George T. Diller, 1972; Meliador, v. Auguste Longnon, 3 Bde., 1895 ff.; L'Espinette amoureuse, v. A. Fourrier, 1963; La Prison amoureuse, v. dems., 1974; Le joli Buisson de Jonece, v. dems., 1975; Le Paradis d'Amour, L'Orloge amoureus, v. Peter Dembewski, 1986; Les Dits et Débats, v. A. Fourrier, 1979; Ballades et Rondeaux, v. R.S. Baudouin, 1978; The Lyric Poeme of -, v. R.R. McGreger, jr., 1975. Œuvres, 28 Bde. (Bd. 1-17 Chroniques, Bd. 18-25 Beigaben und Indices zu den Chroniques, v. Kervyn de Lettenhove und August. Scheler; Bd. 26-28 Poésies, v. Auguste Scheler, 1867-77.

    Lit.: Mary Darmesteter, F., 1894; - Johan Huiziniga, Herbst des Mittelalters (Deutsche Fassung ... v. Kurt Köster), 1919 (19618); - F.S. Shears, F., Chronicler and Poet, 1930; - Raymond L. Kilgour, The Decline of Chivalry as Shown in the French Literature of the Late Middle Ages, 1937 (Repr. 1966); - B.J. Whiting, F. as Poet, in: Mediaeval Studies 8 (1946); - Maurice Wilmotte, F., 1948; - Janet M. Ferrier, French Prose Writers of the Fourteenth and Fifteenth Centuries, 1966; - Douglas Kelly, Imagination in the Writings of F., in: D.K., Medieval Imagination. Rheteric and Poetry of Courtly Love, 1978; - J.J.N.Palmer (Hrsg.), F.: Historian, 1981; - ders., F. and the Héraut Chandes (übers. v. Claude Thiry und F. Tilkin), in: Le Moyen Age 88 (1982); - Jäger, Aspekte des Krieges und der Chevalerie im XIV. Jhdt. Untersuchungen zu F.s Chroniques, 1981; - Peter F. Dembowski, J.F. and His Meliader. Context, Craft, and Sense, 1983; - ders., Ideal and Real, in the Narrative Poetry of F., in: Mediaevalia et Humanistica 14 (1986); - ders., Tradition, Dream Literature, and Poetic Craft in »Le Paradis d'Amour« of F., in: Studies in the Literary Imagination 20 (1987); - George T. Diller, Attitudes chevaleresques et réalités politiques chez F., 1984; - ders., F.s »Chroniques«. Knightly Adventures and Warrier Forays: Que chascun se retire en sa chascunière, in: Fifteenth Century Studies 12 (1987); - J. Picoche, Le vecabulaire psycholegique dans les Chroniques, de F., 1984; - Barbara E. Kurtz, The »Temple d'Onneur« of F., in: Modern Philology 81 (1984/85); - M. Altschul, Chivalry and its Historians, in Mediaevalia et Humanistica 13 (1985).

    Georg Rollenbleck

    Letzte Änderung: 24.11.1998


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